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Brandbrief des BVK zur Gagen- und Arbeitssituation

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Der Berufsverband Kinematografie (BVK) kritisiert „unhaltbare Zustände“ der Gagen- und Arbeitssituation in der Filmbranche. Der Verband sieht einen „rapide fortschreitenden Sittenverfall in der freien Medienbranche“ und ein Wegbrechen sozialer Standards. Die Filmwirtschaft, die öffentlich-rechtlichen TV-Anstalten und die Filmförderer werden u.a. aufgefordert, das Unterlaufen tarifvertraglicher Bestimmungen zur Arbeitszeit zu verhindern und die Produktionen entsprechend realistisch zu budgetieren. Zudem werden „scharfe Kontrollen“ durch die Behörden gefordert. Hier der „Brandbrief“ des BVK im Wortlaut.

Unser Produktionsstandort und die Qualität des Filmschaffens in Deutschland ist in Gefahr! Filmschaffende gehen wegen Unterlaufens des Tarifvertrags und häufiger Auftragskrisen in die Altersarmut! Ohne schärfere Kontrollen droht ein Ausverkauf durch Dumping!

Der bestehende Tarifvertrag für Film- und Fernsehschaffende (TV FFS) legt Mindestgagen fest, die das Minimum für Berufsanfänger und Low Budget Produktionen darstellen, aber selbstverständlich nach oben offen sind. Die Tarifgage stellt keineswegs die Normalgage dar, vielmehr markiert sie die verbindliche Gagen-Untergrenze, die nicht unterschritten werden darf, wenn man nach dem Tarifvertrag arbeiten will, über den z.B. die Arbeitszeit geöffnet wird. Lange Arbeitszeiten schätzt man in der Film- und Fernsehwirtschaft sehr, aber faire Kompensation auf Basis des Tarifvertrags wird häufig nicht einmal angeboten – geschweige denn korrekt erfüllt. Für andere Filmschaffende, die als Rechnungssteller arbeiten, gilt der TV FFS gar nicht!

Sogar die tarifliche Mindestgage wird häufig unterschritten, weil sich die öffentlich-rechtlichen Auftraggeber und die Filmförderinstitutionen weigern, auf der Einhaltung des Tarifvertrages als der verbindlichen Grundvoraussetzung zu bestehen. Institutionen und Sender müßten die Mindestleistungen nach dem Tarifvertrag schlicht vorschreiben und sich die Rückforderung von Zahlungen vorbehalten, falls unterhalb des Tarifstandards gearbeitet wird. In anderen Branchen (z.B. Bauwirtschaft) ist dies längst der Fall, wenn öffentliche Aufträge vergeben werden. Dem Gagendumping wird Vorschub geleistet, wenn Produktionen unterfinanziert arbeiten müssen – bei über Jahre allenfalls nominal gleichbleibenden oder sogar sinkenden Budgets. Die Ansprüche der Auftraggeber steigen aber von Jahr zu Jahr! Produktionen brauchen Luft zum Atmen und eine adäquate finanzielle Ausstattung, damit sie Mitarbeiter anständig, also mindestens nach dem Tarif, vergüten können.

Es gibt klare Ursachen für die unhaltbaren Zustände!

Leider ist der Tarifvertrag für Film- und Fernsehschaffende nicht allgemeinverbindlich, und kann es auch nicht werden. Die Voraussetzungen hierfür sind nicht erfüllt. Auf Seiten der Produzenten ist der verbandliche Organisationsgrad zwar hoch, doch in ver.di sind von den Zehntausenden von Filmschaffenden in Deutschland nur wenige organisiert. Zahlenmäßige „Mächtigkeit“ in der Vertretung der Interessen von Filmschaffenden haben hierzulande allenfalls die Berufsverbände.

Skandalös ist die von manchen Firmen betriebene Abdrängung von Filmschaffenden in die Selbständigkeit. Einige wenige Filmberufe können in der Tat selbständig ausgeübt werden. Die Systematik aber, mit der man Risiken auf die regelmäßig schwächsten Marktteilnehmer abwälzt, ist zynisch und perfide. Besonders prekär ist die Situation für Filmschaffende im dokumentarischen Bereich. Hier werden manchmal Gagen von nur 50% der Tarifgage aufgerufen. Rechnungssteller müssen zudem für Sozial- und Rentenleistungen alleine aufkommen. Der Tarifvertrag macht aber keinen Unterschied zwischen fiktionaler und non-fiktionaler Produktion! Nur weil es viel zu viele Filmschaffende im Lande gibt, zu denen die zahlreichen Ausbildungsstätten jährlich Hunderte hinzufügen, wird der Binnenkannibalismus in verschiedenen Berufsfeldern schamlos zur Kostensenkung bei den Produktionen ausgenutzt. Das unstrukturierte und oft von kommerziellen Interessen geprägte Ausbildungsangebot im Bereich Film und TV führt im Verbund mit fehlenden Standards bei Qualifikation und Bezahlung zu grotesken Marktverwerfungen mit bereits heute beängstigenden Armutsfolgen für tausende Filmschaffende in Deutschland.

Natürlich wird das Gagengefüge möglichst unterlaufen, indem bei zeitlich kürzeren Produktionen aufgrund der Produktivitätsverdichtung in langen Drehtagen möglichst willige und billige Filmschaffende eingesetzt werden. Die Gewerkschaft hat durch das Konstrukt von „Bereitschaftszeit“ erheblich zur Misere beigetragen: Der Tarifvertrag behauptet, „dass in die werktägliche Arbeitszeit des an einer Film- oder Fernsehproduktion mitwirkenden Film- oder Fernsehschaffenden regelmäßig und in erheblichem Umfang bezahlte Arbeitsbereitschaft … fällt.“ Jedem Praktiker ist klar, daß es sich hierbei um eine dreiste Lüge handelt. Ver.di jedoch unterschreibt als Gewerkschaft Derartiges und ermöglicht damit, daß 11-,12-, 13-Stunden-Tage abzuarbeiten sind. Ein Tarifvertrag als Freibrief für Arbeitszeitausweitungen, von denen man natürlich gerne Gebrauch macht! Arbeitnehmerfreundliche Bestimmungen des Tarifvertrages werden aber oft nicht oder nur teilweise eingehalten, indem man etwa auswärtige Filmschaffende kurzerhand zu Ortsansäßigen erklärt, um Spesenzahlung zu umgehen, oder Arbeitszeiten kreativ verschoben werden, um Pausen und Ruhezeiten nicht einhalten zu müssen, etc.

Wir sind Zeugen eines rapide fortschreitenden Sittenverfalls in der freien Medienbranche. An die Stelle des fairen Miteinander und verläßlicher professioneller Partnerschaft ist die Ellenbogenmentalität getreten. Filmschaffende sind immer öfter nicht mehr in der Lage, sich und ihre Familie zu ernähren, oder für Alter und Krankheit vorzusorgen. Dadurch wird das Niveau der deutschen Filmwirtschaft mittelfristig einbrechen: Deutsche Filme werden an Qualität verlieren, da billige Arbeitskräfte nicht dauerhaft qualifiziert mittragen. In- und ausländische Produktionen werden nicht mehr so gut bedient werden. Die arbeitslosen Filmschaffenden werden in andere Branchen drängen oder Grundsicherung benötigen. Sie werden die Gesellschaft, welche sie so behandelt, spätestens im Alter finanziell belasten.

Wir rufen die Politiker und alle Akteure der hiesigen Film- und Fernsehwirtschaft – vor allem aber die öffentlich-rechtlichen Sender und Filmförderinstitutionen – auf, ihren selbstverständlichen Verpflichtungen gegenüber den Filmschaffenden, die das Programm tragen, gerecht zu werden!

Wir fordern ganz konkret:

  • die öffentlich-rechtlichen Auftraggeber und Filmförderinstitutionen müssen auf der Einhaltung des Tarifvertrages als der verbindlichen Mindestvoraussetzung bestehen!
  • die dreiste “Bereitschaftszeitlüge” ist aus dem Tarifvertrag ersatzlos zu streichen!
  • die Abdrängung von Filmschaffenden in die Selbständigkeit muß verboten werden!
  • die Budgets der einzelnen Produktionen müssen ein realistisches Niveau aufweisen!
  • die unzumutbaren Produktionsverdichtungen müssen rückgängig gemacht werden!
  • fikitionale und non-fiktionale Produktionen müssen gleichberechtigt behandelt werden!
  • die Rahmenfrist für den Anspruch auf ALG 1 muß auf 36 Monate verlängert werden!

Unter großer Verantwortung für die Realisierung der Projekte und mit ihrem professionellen Einsatz sorgen Filmschaffende für die Erfolge der deutschen Produktionswirtschaft. Es ist unsozial und inhuman, wenn Beschäftigungsbedingungen in einem Wirtschaftsbereich so verkommen, daß aus Arbeit Schinderei wird – oft nicht einmal fair vergütet.

Es ist höchste Zeit für Korrekturen – und für scharfe Kontrollen der zuständigen Behörden!

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