Am Wochenende fanden die 51. Hofer Filmtage statt. Bei dem internationalen Festival wurden fast 130 Filme aus allen Genres gezeigt. Margret Köhler war für uns vor Ort und zieht ein Festival-Fazit.
Seinen ersten Film trug er Anfang der 1980er Jahre persönlich zum WDR, inzwischen bringt er es auf über 60 Dokumentarfilme: Für sein Schaffen erhielt Produzent und Regisseur Wolfgang „Wolle“ Ettlich, aufgewachsen in Neuköllln und seit Jahrzehnten in München lebend, den diesjährigen Filmpreis der Stadt Hof für seine Verdienste um die Hofer Filmtage und den deutschen Film. Der 70-Jährige habe „Talent zu fragen und sich einzufühlen, immer auch ein Stück deutsche Geschichte zu erzählen“ hieß es in der Laudatio. Eigenschaften, die sich in Werken wie „Meine Reise in die DDR – 25 Jahre später“ oder „Irgendwie Power machen“ spiegeln. Ettlich gestand kokett, das Einzige was er könne, sei auf Menschen zuzugehen und dankte seinem langjährigen Kameramann Hans-Albrecht Lusznat und Schnittmeisterin Monika Abspacher für ihre Mitarbeit und Geduld.
Dass der Preis an einen Dokumentarfilmer ging, passt zum Hofer Jahrgang 2017 mit fast 30 Filmen dieses Genres. Darunter auch der absolute Publikumsliebling, Marie Reichs “Meine Welt ist die Musik” (Kamera: Salomé Lou Römer, Markus Götzfried). Ein liebevolles Porträt des Komponisten Christian Bruhn. Seine populären Hits wie “Wunder gibt es immer wieder” oder “Ein bisschen Spaß muss sein” kennt jeder. Der Mann dahinter, einer der größten Schlager-, Unterhaltungs- und Filmmusikkomponisten Deutschlands mit 2500 Kompositionen, ist trotz aller Erfolge (er schrieb auch 100 Lieder für Mireille Mathieu) bescheiden geblieben. Einer, dem man gerne zuhört, wenn er aus dem Nähkästchen plaudert. So durfte der Newcomer in der Schwabinger “Nachteule” “mit jazzen” und kriegte dafür eine Portion Spaghetti und zwei Bier, 1965 kam Drafi Deutscher in sein Studio mit genau vier Worten: Dam, Dam, Dam, Dam. Daraus macht Bruhn den Kracher “Marmor Stein und Eisen bricht”. Und wenn der heute noch auf dem Oktoberfest das Bierzelt zum Beben bringt, steht der 83-Jährige im lauten Gewühl und lächelt leise.
Intensive Beharrlichkeit
“Wem gehört die Natur?” fragt Agnes Agneskircher und Owen Prümm und Johannes Imdahl liefern dazu fantastische Bilder aus den bayerischen Alpen, wo die Welt nur noch vordergründig heil ist, die knallharte Devise “Wald vor Wild” gilt. Selbst Jäger, Förster, Wildhüter und Waldarbeiter können oft nur den Kopf schütteln über staatlich reglementierte Abschussraten von Wildschweinen oder Rotwild, Gämsen stehen vor der Ausrottung. Der Mensch macht sich die Natur untertan, zerstört sie. Beim Kinostart sind heiße Diskussionen zu erwarten.
Ein dokumentarisches Highlight war “Die Legende vom hässlichen König” (Hofer Dokumentarfilmpreis GRANIT) über den kurdischen Filmemacher Yilmaz Güney, der im Gefängnis das Drehbuch für “Yol” schrieb und damit die “Goldene Palme” 1982 gewann. Der in Deutschland geborene Hüseyin Tabak nähert sich dieser Ikone und seinem Idol vorsichtig (Buch: Lukas Gnaiger), spricht mit Weggefährten, Künstlern und Verwandten, verwendet viel Archivmaterial. Heraus kristallisiert sich die Figur eines in sich widersprüchlichen Menschen und Ausnahmeregisseurs. Sieben Jahre arbeitete Tabak an diesem Projekt und bewies langen Atem. Die Jury zeichnete ihn aus für die “intensive Beharrlichkeit und das überzeugende Resultat”.
Dem rund 130 Beiträge umfassenden Gesamtprogramm der 51. Internationalen Hofer Filmtage mit traditionell deutschem Fokus fehlte leider der filmische Kompass, starke Frauen und schwache Männer reichen nicht. Vor allem die deutschen Spielfilme enttäuschten durch mangelnde Erzählkraft. Da wurde dramaturgisch und inhaltlich einiges zusammengeschustert und für Samira Fansas unausgegorenes Laientheater “Deckname Jenny” reichte wohl das Auswahlkriterium “Finanzierung durch Crowdfunding”. Dass einige Filme funktionierten, lag großenteils an den guten Schauspielern wie Matthias Brandt in Julian Pölslers “Wir töten Stella” oder Alexander Fehling in Jan Zabeils narrativ schwächelnden “Drei Zinnen” (“Förderpreis Deutscher Film”).
Es droht Beliebigkeit
Mit einer Wahnsinnspräsenz fegte Elzemarieke de Vos in Andreas Arnstedts “Vollmond” über die Leinwand, ein auf einem wahren Schicksal basierenden und ohne Förderung für nur 10.000 Euro produzierten Psychodrama. Die Holländerin spielt eine traumatisierte Fotografin, die zwischen Wahn und Wirklichkeit taumelt, kraftvoll und verletzbar, geheimnisvoll und emotional. In Jan Speckenbachs “Freiheit” trägt eine großartige Johanna Wokalek als an Eheroutine erstickende Frau, die Mann und zwei Kinder verlässt, die Handlung auf ihren Schultern. Ihre Befreiung von den Fallstricken des Alltags tut weh, ihr Mut gut. Mit dem formidablen Franz Rogowski als naivem und gutgläubigem Retter der Armen und Entrechteten in “Lux- Krieger des Lichts” konnte Daniel Wild punkten. Das Drama mit einem Superhelden ohne Fortüne, der im Berliner Kiez an der Gesellschaft scheitert, erhielt den zum zweiten Mal vergebenen Heinz-Badewitz-Preis für Nachwuchsregie. Gelobt wurde die inszenatorische Sicherheit und der bemerkenswerte Stilwillen.
Der neue künstlerische Leiter Thomas Schaumann, Jahrgang 1968, hat es nicht leicht. In Berlin, Saarbrücken, Mannheim, München laufen deutsche Nachwuchsfilme, das qualitative Spektrum ist somit begrenzt, es droht Beliebigkeit. Nicht nur bei den Filmen gibt es harte Konkurrenz, auch die Attraktivität der Filmkunstmesse in Leipzig zieht viele Verleiher und Kinobesitzer ab. Die Branche zu gewinnen und einzubinden, wird eine große Herausforderung sein. Die Festivalbilanz spricht von “30.000 belegten Sitzplätzen”, aber erst am Wochenende stürmten die Hofer die Kinos.
Die Diskussionen im Rahmen von HoF PLUS kamen gut an. Interessant das vorgestellte Konzept von INDIEswitch, ein redaktionell gestaltetes VoD-Portal für Independent-Filme, das auf “Qualität statt Masse” setzt und jede Woche vier Spielfilm-Highlights mit einem spannenden Leitthema liefern will. Das TVOD (Transactional-Video-on-Demand) über das Internet soll nicht schwieriger sein als ein Ticketkauf im Kino. Die Filme können ohne Abo gekauft werden. Launch des Streaming-Dienstes ist der 1. Dezember. Das vernünftige Fazit der Experten-Diskussion “Jäger des verlorenen Zuschauers” hieß “Weniger Filme, gezielter fördern”. Eine dringende Notwendigkeit bei Starts von ca. 250 deutschen Filmen ohne wirkliche Marktchancen. Auf Festivals gefeierte Filme finden keinen Verleih. Der Event-Charakter gewinnt an Bedeutung, im Alltag bleiben die Zuschauer aus. Immer mehr Leute sehen Filme, eben nur nicht im Kino.