von Interview: Bernd Jetschin, Artikel aus dem Archiv
Ex-Ministerpräsident Uwe Barschel, tot in der Badewanne eines Genfer Luxushotels. Kaum ein Bild hat sich derart ins kollektive Gedächtnis der Republik eingeprägt. Visuell ließ Kameramann Benedict Neuenfels (BVK) jetzt diesen Politskandal im rund dreistündigen Thriller „Der Fall Barschel“ noch mal aufleben. Bernd Jetschin sprach mit Neuenfels über die visuellen Herausforderungen des komplexen Stoffs.
Grimme-Preisträger Kilian Riedhof hat diesen heißen Politstoff als virtuosen, atemlosen Thriller inszeniert; vor der Kamera von Benedict Neuenfels agierten mit Alexander Fehling, Fabian Hinrichs, Antje Traue, Matthias Matschke, Edgar Selge und Martin Brambach eine herausragende Riege deutscher Schauspieler. Die Produktion der Zeitsprung Pictures im Auftrag der ARD Degeto wurde beim Filmfest München mit dem Bernd Burgemeister Fernsehpreis ausgezeichnet.
Für Co-Drehbuchautor und Regisseur Kilian Riedhof galt es, ein Puzzle aus der Fülle der bekannten Thesen und Ermittlungsfakten zusammenzusetzen und diese spannend und vor allem „erlebbar“ für die Zuschauer werden zu lassen. Es beginnt wie ein Recherchethriller. Ein Journalist stellt die Frage ‚War es Mord?’ und begibt sich damit auf Kollisionskurs zu Kollegen, zum Verlag und zum politischen System. Er gerät in eine Parallelwelt und in einen Sog, der ihn immer tiefer hinein zieht ins Reich der Finsternis. „Wir wollten kein Geschichtsfernsehen, sondern einen aktuellen TV-Thriller, der den Zuschauer ebenso einnimmt wie den Journalisten im Film“, erklärte Riedhof. Benedict Neuenfels hatte mit Kilian Riedhof bereits den TV-Film „Homevideo“ (Grimmepreis) gedreht: „Barschel war ein Lieblingsprojekt von uns beiden. Er hat mir das Projekt vor knapp zehn Jahren vorgestellt. Damals war es nicht zu finanzieren“, so Benedict Neuenfels. Im Interview erläutert er, dass es bei der szenischen Gestaltung nicht nur einen Schlüssel gab, um den Zuschauer ins Reich dunkler Verschwörungen zu führen.
Der Fall Barschel ist bis heute nicht vollends aufgeklärt und bleibt rätselhaft. Was hat Sie an diesem Stoff gereizt?
Wie heißt es so schön: Ich bin ein politisches Kind dieser Zeit. Das Badewannenbild des toten Barschels hat mich damals tief verstört, die finalen Umstände sind immer noch ungelöst und der deutsche Waffenhandel lebt und gedeiht. Das sollte erst mal Ansporn genug sein. Darüber hinaus bin ich ein großer Fan der „Verschwörungsfilme“ der 1970er und 1980er von Alan J. Pakula, John Frankenheimer und Henri Verneuil, die sind schlichtweg fesselnd.
Ein Politthriller bedarf der Verschwörung: Die Undurchsichtigkeit und Doppelbödigkeit vieler Geschehnisse im „Fall Barschel“, alles kann so oder auch anders betrachtet und interpretiert werden – was heißt das für die Bilder, die Sie gestaltet haben?
Das ist allerdings nicht von Anfang an so. Je weiter unsere Journalisten in die Materie einsteigen, je tiefer sie graben, desto undurchsichtiger oder ambivalenter begegnet Ihnen die „Realität“. Das stellt sich nur noch in Bilderketten dar, zu komplex sind die einzelnen Erzählstränge in dem mehr als 300 Szenen starken Drehbuch. Da ist „das tatsächlich Geschehene“ – in Worten und Bildern gebannte historische Momente, die wir uns zu Eigen gemacht und in eine Art mock-documentary-style getunkt und verändert haben. Hierbei galt es unter anderem den konkreten Eindruck zu vermitteln, dass zum Beispiel Helmut Kohl oder Björn Engholm neben unserem Barschel, gespielt von Matthias Matschke, stehen oder sich im Kontext dessen aufhalten. Bei diesen Szenen ging es um die Einbettung historisch belegter Ereignisse und neu gedrehter Aufnahmen in unsere fiktive Erzählweise und diese dann wie selbstverständlich „wahr“ wirken zu lassen.
Wie wurden diese fiktiven dokumentarischen Teile im Film gedreht?
Dafür habe ich auf ein Consumer-Kamerasystem aus den späten 1990er Jahren mit dem ich „Der Felsen“ gedreht habe, zurückgegriffen, also mit MiniDV gedreht. Das haben wir unter anderem auch für die Ankunftsszene von Barschel in Genf genutzt, als er von den zwei Journalisten am Flughafen in Empfang genommen wird. Wir haben für diese Szene die Ankunftshalle des Genfer Flughafens in einer großen Halle in Berlin aufwändig nachgestellt und darin mit einer kleinen MiniDV Kamera gedreht. Das war eine Herausforderung für die Produktion. Mein Produktionsleiter Konstantin von Carlowitz hatte mich besorgt gefragt: ‚Mensch Benedict, willst du das nicht zur Sicherheit noch auf dem großen Format aufnehmen?’ Aber Kilian und ich waren so überzeugt, dass es richtig ist und haben es dann auch nur so gedreht. Für diese Szene, wie auch weitere fiktionale dokumentarische Aufnahmen, die sich als Archivbilder in die Handlung integrieren, haben wir die Sony MiniDV PC 100 verwendet.
Der Zuschauer erlebt das Geschehen perspektivisch aus der Sicht der Reporter.
Das ist der Kern des Filmes: das Recherchieren und Kombinieren der Journalisten, da soll der Zuschauer „mittun“ und Stellung beziehen, Partei ergreifen, sich mitfreuen, leiden, Spaß an den Recherchen und Aufdeckungen haben, es soll packend und konspirativ sein. Montagen wechseln sich ab, Vorgänge werden gerafft und pointiert. Die szenische Dynamik spielt hierbei eine entscheidende Rolle – ein Pingpong von Meinungen, Haltungen und Vermutungen. Hierzu kommen die reinen Informationen, die der Zuschauer benötigt, um dem Fall Barschel folgen zu können. Welche und wie viele Informationen bildlich, tonlich, schnitttechnisch eingesetzt werden, gestaltete sich sehr kompliziert. Denn es musste viel zeitgeschichtliche Information filmisch „verpackt“ werden.
Es durfte aber nicht wie ein belehrender Historienfilm aussehen, sondern eher wie ein moderner packender Politthriller, der die Zuschauer mit hineinzieht in das Geschehen.
Über der notwendigen Verankerung der Geschichte in einer anderen, vergangenen Zeit, hängt das Damokles- Schwert des Zeitkolorits. Man muss sich fragen, in welchem Maße ist die Replikation von Licht, Farben, Dekor, Kostümen und Frisuren dieser Zeit für die Geschichte und den Zuschauer reizvoll. Wenn ich das Gefühl habe, ich stehe vor einem Museum blitzblank geputzter Oldtimer, dann gerät es schnell zum „Kostümfilm“ – zur Attitüde. Ein Politthriller, der versucht, das Geschehen näher an die Zuschauer heranzurücken, muss sich im Umgang mit den historischen Details auch gewisse Freiheiten beziehungsweise Interpretationen erlauben können. Wir haben in allen Abteilungen gemeinsam viel Zeit darauf verwendet, uns klar zu machen, welches historische Element gebraucht wird und was wir getrost ignorieren können. Uns ging es darum, einen Geruch für diese Zeit zu erzeugen, diese aber nicht 1:1 abzubilden.
Dem Zuschauer geht es wie dem Reporter im Film, je tiefer er hineingerät, desto mehr Verunsicherung erfährt er. Was heißt das für die Bilder?
Das ist die Kür und der größte Spaß und Herausforderung zugleich: das „Mistracking“ – den Betrachter auf falsche Fährten locken, mit der Wahrnehmung des Gesehenen spielen. Falschinformationen streuen, um so im Verlauf der Geschichte eine grundsätzliche Verunsicherung in den Bildern zu erzeugen, eine Art von bedrohlicher Schwingung vielleicht.
Mit welchen Mitteln im Bild lässt sich eine derartige bedrohliche Schwingung erzielen?
Wenn ich auf einen Hinterkopf langsam zufahre, erzeugt dies eine Erwartung, eine Spannung und Bedrohung zugleich: Geht da jemand auf die Person zu? Aber simpel auch dadurch, dass man überraschend die Perspektive verändert und dabei erzählerisch aus dem inneren Kreis der Szene herausspringt und plötzlich eine Beobachtungsperspektive einnimmt. Das kann ich auch dadurch erzielen, wie die Personen im Bild kadriert werden, ob sie im Schatten oder Halbschatten stehen oder von hartem Licht getroffen werden. Es gab nicht den einen Schlüssel, um einen bestimmten Look zu erzeugen, vielmehr haben wir uns der gesamten Palette der szenischen Gestaltung bedient. Diese Geschichte brauchte eine vielschichtige Filmsprache gepaart mit hohen Erzähltempi.
Wie entsteht diese Sogwirkung in den Bildern, die einen hineinziehen ins Reich der Finsternis?
Durch Konzentration der Erzählperspektive, Verdichtung der Lichtsetzung, Änderung der Farbpalette, physischere Kamerabewegung in Räumen, abruptere Dynamikwechsel, Bildauslassungen.
Die Verdichtung der Lichtsetzung? Wie haben Sie das gemacht?
Damit meine ich, dass wir nicht den Raum als Ganzes ausleuchten, sondern mehr in Teilbereichen. Man setzt pointilistischeres Licht und reduziert sein Farbspektrum auf weniger Mischtöne oder mehr monochrome Farben, mehr Blau oder Grün zum Beispiel.
Beispiel Genf. Diese elegante, noble Stadt für Kurgäste und reiche Exilanten wirkt eben nicht nur mondän, sondern geradezu wie eine konspirative Hölle.
Wir haben dort viel in der Nacht oder in zwielichtigeren Stimmungen gedreht. Genf ist eine reizvoll disparate, für mich immer noch konspirativ wirkende Stadt, eingebettet zwischen See, Hochalpen und Schweizer Flaggenmeeren, die eine heile globale Welt suggerieren. Wir haben dort auch Szenen gedreht, die gar nicht in Genf spielen. Wenn sich der Reporter mit dem Detektiv im Rotlicht-Viertel trifft, dann findet das in Zürich statt. Die formidable Szenenbildnerin Yesim Zolan hat diese Sets in Genf nachgebaut.
Bei den Nacht- und Lowlight-Szenen nutzen Sie dazu vorhandene Lichtquellen oder setzen auf die gesamte Palette der Leuchten?
Für die Szenen im Redlight District habe ich zwei Wege verfolgt. Dort haben wir teils richtig aufwändig geleuchtet, denn es handelt sich um mehrere Straßenzüge, die illu – miniert sein wollten. Zum anderen habe ich auch „negativ geleuchtet“, also teilweise vorhandene Lichtquelle – Straßenbeleuchtung, Geschäftsbeleuchtung etc. – ausgeschaltet oder abgedeckt, um dieses öffentliche Licht in meinem Sinne strukturieren zu können. Dann den Kamera-Sensor ad libitum gepuscht und mit dem restlichen vorhandenen Licht gedreht.
Mit welchem Kamera/Equipment waren Sie für diesen Film ausgestattet?
Die Hauptkameras waren RED Epic MX, RED ONE, RED Scarlet, mit denen wir rund 80 Prozent der Aufnahmen in 4K, 3K und 2K realisiert haben. Die GoPro 4 Kamera hatten wir unter anderem für Flüge mit Drohnen eingesetzt. Diese Aufnahmen sind weitgehend nicht als Kameraflüge sichtbar, sondern dienten uns dazu, eine feste hohe Kameraposition zu erlangen. Einiges von den Archivbildern, für die ich eine HD-Auflösung brauchte, habe ich auf der Canon 5D Mark II gedreht. Und für die szenischen, fiktiven Archivaufnahmen ohne VFX-Beteiligung haben wir wie schon erwähnt die Sony MiniDV PC 100 eingesetzt. Darüber hinaus haben wir für einige Extremzoom-Aufnahmen die Canon-HF10-Kamera benutzt. An Objektiven setzten wir Festbrennweiten verschiedener Hersteller im Bereich von 14 mm bis 1.000 mm ein. Zoom-Objektive haben wir von Zeiss, Angenieux, und Cooke verwendet. Besonders fasziniert bin ich von einem alten Cooke-Zoom, der in 2K auf eine T 1.5 öffnet.
Auf was haben Sie beim Grading besonders geachtet?
Ich lege einen Look schon beim Drehen an, damit der Schneideraum kein „unsinnliches Zeug“ erhält und wir am Set einen Vorschlag für die gedachte Lichtstimmung bekommen. Dennoch ergibt sich natürlich in der Kette der Bilder eventuell der Eindruck, dass gewisse Stimmungen zu radikal ausgelegt waren oder dass durch den Schnitt motiviert, Bild-Übergänge eine andere Auslegung der Farbtemperatur benötigen. Wiederum stellten wir auch das Gegenteil fest, als die Archivaufnahmen integriert wurden, da das Ausgangsmaterial einige Bearbeitungswege durchlief, insbesondere die Einstellungen, bei denen wir mit VFX-Elementen gearbeitet haben. Da haben wir im Gradingprozess Filmkorn, Artefakte, Zeilensprünge und Crosscoloreffekte verstärkt oder addiert. Die wenigsten VFX-Shots wurden 3D-animiert; beispielsweise die Eingangssequenz, die den Flugzeugabsturz von Barschel zeigt, ist aus unterschiedlichen Mitteln zusammengesetzt worden; hierzu wurde teils auch mit einem Flug-Modell gedreht.
180 Minuten Politthriller mit mehr als 300 Szenen in vier Ländern ist eine große Herausforderung. Wie genau wurde die szenische Auflösung mit dem Regisseur vorbereitet?
Nachdem wir wochenlang gereist sind, um Motive zu finden, haben Kilian und ich den ganzen Film vor Dreh – beginn in Einstellungen aufgelöst, das war ein langes Tête-à-Tête – Schreibtischarbeit und Imagination. Filmauflösung ist kein Hexenwerk, aber hierbei zeigt sich der Stil der Filmsprache.
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